Via di Francesco – Tausend Wege, (k)ein Ziel


Der Franziskusweg in Italien führt von Florenz über Assisi nach Rom. Ein klassischer Pilgerweg, aber noch nicht so oft begangen wie sein berühmter Bruder in Spanien. Der Weg hat den Ruf etwas bergiger und anspruchsvoller zu sein und war deshalb meine Wahl für den Start in die Wandersaison 2022.

Aus Zeitgründen bin ich nicht direkt in Florenz gestartet, sondern habe die ersten 3 Etappen übersprungen. Mein Gedanke war, dass ich so nicht erst aus der Stadt hinausgehen muss, sondern direkt im Wald starten kann. Es ging ab Stia auch gleich mit ein paar Höhenmetern los – und mit den Auswirkungen des Klimawandels: In der Toskana lag Mitte April auf 900 Metern Seehöhe noch Schnee. Das hat meinen Trip etwas spannender gemacht, weil ich gleich auf den ersten Etappen einige Dinge festgestellt habe:

  1. Das Ziel ist das Ziel – der Weg dorthin ist je nach GPX-Track oder Wanderführer ein anderer. Auch die Markierungen sind teilweise nicht immer eindeutig oder waren vom Schnee verdeckt. Und es gibt verschiedene Varianten, manche wohl „offiziell“, andere nur in bestimmten Wanderbüchern.

  2. Wenn Schnee liegt und Ostern noch nicht rum ist, gehen die italienischen Herbergenbetreiber davon aus, dass sowieso keiner wandert – man braucht also auch nicht aufzusperren. Das gleiche gilt übrigens auch für kommerzielle Hotels am Weg – wobei die aber gerne aufmachen, wenn man vorher anruft. Auf der Straße schlafen musste ich kein einziges Mal. Alles ist eine Frage des Budgets.

  3. Ich habe gedacht, ich wandere viel im Wald und in der Natur – wieso gibt es denn hier verdammt nochmal so viel Asphalt? Manche Teilstücke hätte ich mir eigentlich gerne erspart und würde die Via die Francesco nur mit Einschränkungen weiter empfehlen. Kommt halt immer drauf an, was man möchte...


Die Via di Francesco hat aber auch viele tolle Seiten, wenn man früh im Jahr unterwegs ist. Die ersten 3 Tage habe ich beim Wandern keine Menschenseele getroffen und die Wildtiere haben sich ganz nah ran getraut. Ich habe noch nie so viele Rehe, Hirsche und sogar Füchse in so kurzer Zeit in freier Wildbahn gesehen!

Vor allem auf dem Teilstück nach Camaldoli gab es Anfang April statt sichtbaren Markierungen nur Fußspuren im Schnee als Anhaltspunkt. Es waren zwei „frische“ Spuren, eine Person mit großen Füßen und eine Person mit einer kleineren Schuhgröße. Und tatsächlich habe ich die Beiden auch einige Tage später eingeholt und persönlich kennen gelernt.

 

Absolut unvergeßlich wird meine Nacht bei den Franziskaner-Schwestern in Chuisi de la Verna bleiben. Durch einen Zufall habe ich gemeinsam mit 6 jungen Klosterschwestern aus Indonesien, die in Italien leben, in einem Haus des Convents verbracht. Da ich keine andere Unterkunft gefunden habe, hat mir die Schwester Oberin erlaubt mit den Nonnen gemeinsam zu essen und im gleichen Haus zu übernachten. Die Mädels waren in dem Ort um das Gästehaus der Franziskaner für die Sommersaison auf Hochglanz zu polieren und alles für den Ansturm der Übernachtungsgäste vorzubereiten. Das große Anwesen hat keine Heizung und war wegen dem späten Wintereinbruch eisig kalt – wir haben uns mit dicken Daunenjacken und kleinen Heizstrahlern warm gehalten und uns dabei aus unseren Leben erzählt. Die einen waren neugieriger als die anderen und sie wollten sehr genau wissen, wieso ich alleine durch Italien wandere. Alle jungen Frauen kommen von der selben Insel in Indonesien und haben mit dem Eintritt bei den Franziskanern ihre irdischen Namen abgelegt. Alle waren kaum 12 Monate im Kloster, als der Ruf aus Rom kam und seit 5 Jahren leben sie in Italien um dem Orden zu dienen. Keine hat in den letzten Jahren die Möglichkeit gehabt ihre Familie zu sehen und sie werden quasi rund um die Uhr von der dienstältesten Schwester überwacht. Sobald diese den Raum betreten hat, ist das Lachen verstummt und aus den aufgeweckten Mädchen sind unterwürfige Nonnen ohne eigene Meinung geworden. Es war schön einen Abend lang in diese für mich fremde Welt reinzuschnuppern, aber ich bin auch mit einem etwas bedrückenden Gefühl am nächsten Morgen aufgebrochen. Die angespannte Situation zwischen den Klosterschwestern und ihrer geistigen Führung hatte irgendwie einen komischen Beigeschmack. Muss wohl Zufall sein, dass ich den folgenden Tag über den Machterhalt der katholischen Kirche und moderne Sklaverei nachgedacht habe... ;)

Zum meinen eigenen Gedanken nachhängen, hatte ich auch genügend Zeit auf den nächsten Etappen. Da ich nur den sichtbaren Markierungen gefolgt bin, habe ich die eigentlich häufiger begangene Variante über Pieve Santo Stefano verpasst und eine Alternativroute erwischt. Ein wunderschöner, recht einsamer Abschnitt, der wieder mit viel Schnee dafür gesorgt hat, dass ich mehr nach Gefühl gewandert bin. Leider sind die mir vertrauten Fußspuren nicht mehr aufgetaucht, dafür gab's Sonnenschein und einen warmen und trockenen Pausenplatz bei der Eremo della Casella.

 

Bald auch schon wurde der Schnee weniger – die folgende Tage waren matschig, windig und vor allem eine mentale Herausforderung. Leider gibt es zwischen Caprese Michaelangelo und Gubbio relativ viele Abschnitte auf Asphalt. Auch wenn die Landschaft an sich echt schön war, hatte ich definitiv schon mehr Spaß beim Wandern.

In Gubbio habe ich auch Gesellschaft bekommen und wir sind zu 3t weiter nach Assisi. Aber was da alles passiert ist, erzähle ich euch vielleicht ein anderes Mal...


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