Die Wahrheit über den PCT - oder: Was dir davor niemand so deutlich sagt...

I did it! Ende September habe ich meinen Thruhike auf dem PCT erfolgreich beendet - 2653 Meilen von Mexiko nach Kanada und unzähliche schöne, einmalige, lustige, emotionale und auch bedrückende oder traurige Momente liegen hinter mir. Es wird noch einige Zeit dauern, bis mein Hirn wieder vollständig im Hier und Jetzt ist. Bis dahin genieße ich aber die Bilder, die immer wieder in meinem Kopf aufploppen und mich dämlich grinsen lassen.  Sorry liebe Mitmenschen, aber da müsst ihr jetzt noch eine Weile durch... :)

Vor ungefähr einem Jahr habe ich damit begonnen, meinen Hike auf dem Pacific Crest Trail zu planen. Man findet alle Informationen, die man vorab benötigt, online: Ausrüstung, Visa, Permit, Trailtowns.... aber es gibt auch Dinge, die dir davor niemand so deutlich sagt. Ein Thruhike wird dein Leben verändern!
 

Ich möchte euch heute an einigen Beobachtungen teilhaben lassen, die ich in den vergangenen Monaten gemacht habe. Wie immer gilt: Ich nehme weder mich noch andere all zu ernst!

# Die Zucker-Sucht ist real!
Im "normalen" Leben stehen Coca Cola & Co. nicht auf meiner Favouritenliste. Setzt der Hikerhunger aber einmal so richtig ein, ist Zucker DAS Suchtmittel Nummer 1! Die Aussicht auf ein kaltes, zuckerhaltiges Getränk lassen dich auch schneller gehen und ist ein großer Motivationsfaktor in die nächste Stadt zu kommen. Aber hey, ein Thruhike ist etwas einmaliges und wenn ich den ganzen Tag Süßigkeiten essen kann und dabei trotzem Gewicht verliere, dann tu ich das auch! Wann kann ich sonst eine Familienpackung M&Ms so ungestraft essen? :)

# Ich bin doch kein Hikertrash!? - Oh doch! Ich bin Hikertrash! (und stolz darauf!)
Vor dem PCT konnte ich mit dem Ausdruck Hikertrash nichts anfangen. Ich bin doch kein Hikertrash! Und wehe es bezeichnet mich jemals jemand so! Auf einem Trail wie dem PCT entwickelt man aber Angewohnheiten, die im Alltag nicht zum Standard gehören. Da wird schon mal bei Subway ein Ziplockbeutel mit Salz und Pfeffer gefüllt oder man nimmt die Zuckerpäckchen aus dem Café mit. Ich habe auch kein Problem damit, Gummibärchen, die auf den Waldboden gefallen sind wieder aufzunehmen und zu essen - sie haben ja noch die selbe Farbe! :) Zerissene Regenhose? Kein Problem, dass sich mit Ductape nicht lösen lassen würde. Kaputte Trailrunner? Die lassen sich doch einfach mit Zahnseide wieder zusammennähen - wieso also sofort neue kaufe? Kein frisches Handtuch verfügbar? Man kann ja auch ein bereits von jemand anderem verwendetes benutzen. Wenn es kein dreckiger Hiker davor verwendet hat, schauen die eh wie neu aus! ;) Jeden Tag passt man sich auf's Neue an, das ist Teil der Herausforderung - und findet für jedes Problem eine Lösung - auch wenn es eine trashige ist...

# Klogeschichten
Jeder Hiker hat eine andere Herangehensweise - lustig fand ich die Leute, die von einem WC zum nächsten gewandert sind und dabei locker mal 4 oder 5 Tage ihre Verdauung komplett ignorieren. Aber Fakt ist: Es ist nix dabei, im Wald ein Loch zu buddeln und sein Geschäft schnell und sauber zu erledigen. Im Gegenteil: Die Erdlöcher sind sogar hygienischer als so manche Toilette am Wegesrand. Außerdem ist man (fast) frei: Man kann immer, egal wo und wann man will! :) Ein anderer Hiker hat mir gesagt, dass man nach einen Thruhike allerdings wieder eine Gewöhnungsphase braucht, bis der Körper lernt gewisse Bedürfnisse wieder eine zeitlang unterdrücken zu könne. Und ja: Er hat recht! :)

Als Frau war ich auch immer sehr neidisch auf alle Männer - die brauchen meistens nicht mal den Rucksack abzustellen oder die Trekkingstöcke los zu lassen. Aber liebe Mädels, ich habe gute Nachrichten: Man kann lernen zu pinkeln, ohne dabei den Rucksack abzunehmen! Ich hoffe ihr seid talentierter als ich, bei mir hat's nämlich fast 2 Monate gedauert, bis ist das ohne "Unfall" hin bekommen habe. 

Und noch ein Tipp: Pinkelt nicht in direkter Nähe zu eurem Zelt - manche Rehe werden davon magisch angezogen und ihr habt eine schlaflose Nacht.

# Gras ist leichter als Bier!
... und das ist mit unter ein Grund, weshalb auf dem PCT mehr geraucht als getrunken wird. Außerdem wandert man ja durch Californien, Oregon und Washington - öffentlich getrunkener Alkohol wird in Papiertüten versteckt, aber Gras kann man hier überall legal kaufen und konsumieren. Und es wird sie geben, diese Tage an denen die einzig kluge Entscheidung sein wird, das Zelt aufzubauen und einen Joint zu rollen.

# Jeder hat eine andere Motivation für den Trail
Egal ob Genusswanderer oder 40-Meilen-am-Tag-Hiker: Jeder geht den Trail für sich und am besten in seinem eigenen Tempo. Wenn andere die selbe Geschwindheit haben ist das schön; falls nicht ist auch Solo-Wandern eine super tolle Erfahrung. Manchmal, wenn die ganzen 20jährigen, ultraleichten und sportlichen Superhiker in einem Höllentempo an mir vorbei gezogen sind, musste ich mich erst mal hinsetzten und eine Zigarette rauchen. Alleine der Anblick hat mich manchmal schon gestresst. Aber ich muss ja nicht nach Kanada rennen - eines meiner Ziele war, den Trail so lange wie möglich zu genießen und das habe ich geschafft. Trotzdem möchte ich nicht sagen, dass meine Art den Trail zu wandern besser oder schlechter ist, als andere. Jeder soll selbst entscheiden, wo seine Komfortzone aufhört - das gilt auch für skippen oder flippen. Für mich was das niemals eine Option, für viele andere aber genau die richtige Entscheidung!

# Trail Wellness & Körperhygiene
Am Anfang ist man sehr diszipliniert: Es werden jeden Tag die Füße gewaschen und die Zähne mindestens 2 Mal geputzt. Aber es wird die Zeit kommen, an dem sich ein Bad in einem See (oder alternativ mit Wet Wipes) und frisch geputze Zähne sich wie ein Wellnesstag anfühlen! Ein Tipp von einem Hiker, den ich getroffen habe: Wenn man die Schlafsocken anzieht, sieht man die dreckigen Füße nicht mehr!

# Rothaarige Menschen sterben nicht aus!
... zumindest wenn man sich die Verteilung der Gene auf dem PCT anschaut. Ich habe noch nie so viele rothaarige Menschen (egal ob Mann oder Frau) innerhalb so kurzer Zeit gesehen. Sind rothaarige Menschen naturverbundener und sportlicher als blonde oder braunhaarige? Oder wurden sie als Kind so viel gehänselt, dass sie den PCT aus Therapiegründen hiken?

# Grab dein Loch und hole Wasser bevor du in deine Sandalen wechselst!
TU ES EINFACH!

# Jeder Tag hat einen Tiefpunkt
... bei mir war es meistens der Moment, an dem ich abends mein Schlafpad aufgeblasen habe. Das ist anstrengend - aber ich weiß jetzt, wieviele Atemzüge ich benötige, um komfortabel zu schlafen. Exakt 26.

# Aussagen, die man nicht mehr hören kann...
Man trifft immer wieder auf Menschen, die so Dinge sagen wie "Ich hätte auch gerne so viel Geld und Zeit wie du, damit ich den ganzen PCT hiken kann". Glaubt ihr ernsthaft mir hat jemand 10.000 Dollar und ein halbes Jahr Freizeit geschenkt, einfach so? Nicht, dass ich das nicht angenommen hätte, aber ERNSTHAFT?? Wie bei so vielen Dingen im Leben geht es darum Prioritäten zu setzten und seine eigenen Träume zu verwirklichen, auch wenn es manchmal mehere Jahre dauert, bis es soweit ist.

Ein anderer Satz, welchen ich eindeutig zu oft gehört habe: "Das Wetter ist ganz untypisch / zu kalt / zu nass / zu schneereich für diese Region und diese Jahrezeit!" Ähm... danke.. das hat jeder Thruhiker im Jahr 2019 live miterlebt. Der Klimawandel ist real und wer ein halbes Jahr in der Wildnis lebt, spürt die Auswirkungen jeden Tag.

# Vorurteile bestätigen sich
Es gibt Amerikaner, die den Unterschied zwischen Austria und Australia nicht kennen. Hätte ich doch jedes Mal einen Dollar bekommen, wenn ich erklären musste, dass es bei mir in den Alpen keine Kängurus gibt - ich wäre zwar nicht stinkreich, könnte mir aber einen Burger und eine Cola davon kaufen.

# Egal wie gut du dein Resupply planst, die Snacks gehen als erstes aus!
... und falls man doch noch ein Snickers in einer Jackentasche findet ist das wie Weihnachten und Geburtstag zusammen! :)

# Essen aus der Hikerbox
Irgendwann wird jeder mutiger und greift auch bei unbeschrifteten Mahlzeiten aus der Hikerbox zu. Oft lässt sich nicht so genau erkennen, was es ist und solche Überraschungsmenüs sind spannend! Ich hatte eine meiner besten Mahlzeiten (selbstgemachtes Curry) und eine meiner schlechtesten Mahlzeiten (irgendwas mit zu viel Bohnen...) aus der Hikerbox. Definitiv besser, als jeden Tag Ramen und Tortillas!

# Die, die online vor dem PCT am lautesten trommeln, fahren als erstes wieder heim
Natürlich sind wir alle schon vor dem ersten Thruhike absolute Profis... wir wissen wie der Hase läuft, uns braucht keiner mehr was zu sagen oder Ratschläge zu erteilen. Das ist natürlich NICHT wahr. Bei einigen dieser Trockenübungsprofis finde ich es schade, dass ich diese auf dem Trail nicht kennen gelernt habe - einem ganz speziellen hätte ich auch gerne von Angesicht zu Angesicht meine Meinung gesagt. Hat sich leider nicht ergeben, also behalte ich meine Meinung für mich.

# Man gewöhnt sich spätestens in Oregon daran, aus Teichen zu trinken
... weil's nicht anders geht! :/ Apropos Oregon: Wer auch immer mal gesagt hat, dass man hier locker 40 Meilen am Tag machen kann, schwindelt! 40 Meilen am Tag sind harte Arbeit - egal ob in Oregon oder anders wo!

# Auf Asphalt gehen muss man erst wieder lernen...
Diese Erkenntnis hatte ich, nachdem ich die ersten Tage daheim war. Ich gehe immer noch komisch, obwohl meine Füße langsam wieder ihre alte Form annehmen. Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis meine Knie nicht mehr jammern.

# Am Ende ist es halt nur ein Holzmonument im Wald...
Der Northern Terminus ist das Ziel von allen, die von Mexiko nach Kanada gehen. In meiner Fantasie hatte ich die Vorstellung von einem erhebenden Gefühl, Stolz, Triumph, Tränen in den Augen sobald ich diesen magischen Punkt auf meinem Hike erreiche. Aber ganz ehrlich: Schön, es einmal berührt zu haben und natürlich habe ich auch Fotos gemacht. Aber es ist halt doch nur ein Holzmonument mitten im Nirgendwo. Die Magie des PCT habe ich an anderen Orten erlebt... es sind die Menschen, die Unterhaltungen, die wissenden Blicke, Thruhiker austauschen, Aufmunterungen, Aussichten, Landschaften, Tage am Rand der eigenen Komfortzone, die den PCT zu einem einmaligen Erlebnis lassen werden. Und ich bin dankbar für jeden Tag, den ich auf dem Trail verbringen durfte!


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