Langzeit-Reise-Blues und seine Nebenwirkungen

Eeeeeewig lange Reisen zu können ist der Traum von vielen - einmal um die ganze Welt und am liebsten dort bleiben, wo 365 Tage im Jahr die Sonne scheint. Jedes Jahr ziehen viele Traveller genau mit diesem Wunschtraum los...



Heute machen wir den Reality-Check mit zwei Mädels, beide Ende 20. Lasst sie uns einfach Agos und Paz nennen, eine aus Argentinien, die andere aus Chile. Beide gut ausgebildet und hungrig auf Abenteuer und Sonnenschein.

Vor etwas mehr als 3 Jahren sind die beiden mit vollgepackten Koffern und ihren ganzen Ersparnissen losgezogen. Im Gepäck die Hoffnung auf ein sorgloses, einfaches Leben und mit ganz viel Lust Neues zu entdecken. Die beiden sind Richtung Norden gereist; da nur eine der beiden Freundinnen Englisch spricht, waren sie bisher nur an Orten an denen die Verständigung einwandfrei klappt. Die ersten Monate in Kolumbien und Panama waren aufregend und dann sind sie endlich in dem für sie gelobten Land Costa Rica angekommen. Genauer gesagt in Santa Teresa; hier haben sie das ersehnte Paradies unter Palmen gefunden. Wenn Paz von Santa Teresa erzählt, möchte man meinen, dass in diesem kleinen Surferdorf am Pazifik die Sonne am hellsten scheint, der Rum am besten schmeckt und das Leben nur aus Surfen und im Bikini den Strand entlang stolzieren besteht. Die ersten Monate waren auch so süß wie Dulce de leche - aber mit der Zeit wurde es anstrengend: Alle 3 Monate aus- und wieder einreisen um das Touristenvisum zu verlängern, alle möglichen schlecht bezahlte Nebenjobs annehmen um zu überleben und trotzdem jeden Tag dabei zusehen, wie das Bankguthaben immer kleiner wird. Es ist eine Tatsache, dass Costa Rica ein richtig teures Pflaster ist. Nicht umsonst wird das kleine Land oft als die Schweiz Mittelamerikas bezeichnet. Da können die Surferboys noch so heiß und die Sonnenuntergänge noch so einmalig sein: Ohne Einkommen oder günstige Wohnmöglichkeit geht das Land so richtig an die (finanzielle) Substanz. Ich erinnere mich noch an meine Zeit in Costa Rica zurück - ich war auch so verrückt und habe 7 US-Dollar für 100ml Shampoo bezahlt. Aber ein Minimum an "Luxus" darf's schon sein.

Es kam also, wie es für Agos und Paz kommen musste: Das Bankkonto erschöpft und die Liebe zum Surferboy erloschen... eine eingefahrene Situation und Heimkehren keine Option, wenn man eine selbstbewußte und sture Latina ist, die allen daheim nur erzählt wie erfolgreich man sein Leben unter Palmen führt.

Die Wahrheit schaut bei den meisten Langzeit-Low-Budget-Reisenden ganz anders aus. Um Geld zu sparen, kann man in den meisten spanischsprachigen Ländern super einfach als Voluntario "arbeiten" - konkret bedeutet das Arbeitsleistung gegen Unterkunft. In den meisten Hostels ist das eine übliche Art am bezahlten Personal zu sparen und die Reisenden kommen länger mit dem Urlaubsbudget durch. Für 20 bis 30 Wochenstunden Arbeit kann man üblicherweise gratis im Hostel schlafen (und manchmal auch essen).

Diese Idee hat die beiden jungen Frauen nach La Punta, Puerto Escondido an der mexikanischen Pazifikküste geführt, wo wir und begegnet sind. Zuerst haben sie ihr Glück in Yucatan versucht, aber schnell festgestellt, dass dieser Teil Mexikos teurer ist als das ohnehin schon nicht günstige Costa Rica (ok.... Google hätte das auch gewußt... ich bin mir sicher, dass diese Info auch in spanischer Sprache verfügbar ist...).

Aber zurück ins hier und jetzt: Die beiden sind nun also in La Punta gestrandet; damit das Schlafen gratis ist, arbeiten beide 20 Stunden die Woche in einem Hostel. Aber ein Mensch lebt nicht nur von Sonne und einem Dach überm Kopf - es muss also zusätzliches Geld in die angeschlagene Reisekassa. Deshalb arbeiten beide neben dem Job im Hostel an 6 Tagen pro Woche als Kellnerinnen in einem Restaurant - ab 17 Uhr bis meistens weit nach Mitternacht. Das Ganze für einen Hungerlohn, den beide arbeiten ohne Arbeitsgenehmigung und das nutzt der Restaurantbesitzer natürlich aus. Insgesamt arbeitet jede gute 60 Wochenstunden - definitiv mehr als in Argentinien oder Chile - für ein Einkommen das wesentlich geringer ist, als in ihren Heimatländern.

Wenn sie nicht wie zwei aufgeschreckte Hühner zwischen beiden Jobs hin und her springen, dann wird vor allem geschlafen. Je nach Schicht im Hostel gerne auch bis in den Nachmittag hinein. Grundsätzlich ist das Bett der Lieblingsort der beiden. Und weil man ja einen Ruf zu verlieren hat und man gut aussehen muss, wird in den wenigen freien Stunden die bleiben geschminkt, gekämmt und Haare geglättet. Und dann wieder von vorne angefangen - das Make-up verrinnt schneller als man nachschminken kann.

Die beiden wirken müde und ausgelaugt - im Ort sind sie maximal zum Essen und das Meer und den Strand sehen sie maximal im vorbei gehen um. Die beiden haben die Hoffnung, irgendwann im kommenden Jahr so viel Geld gespart zu haben, dass sie sich die Weiterreise nach Californien leisten können... und da wollen sie dann so richtig viel Geld verdienen, ohne Arbeitserlaubnis logischerweise. Paz mit dem Ziel möglichst schnell wieder nach Santa Teresa in Costa Rica zu gehen und Agos mit dem Ziel nach Europa zu reisen. Ich bin mir ganz sicher, dass es nur ein Zufall ist, dass ihre letze Urlaubsliebe aus Frankreich stammt und sein Aufenthalt in Puerto Escondido leider nur kurz war. ;)

Ich beobachte die beiden nun schon seit über einer Woche und wie der Zufall es will, teilen wir uns auch ein Zimmer (nicht immer ganz so einfach...). Manchmal tun mir die beiden aufrichtig leid - sie sind gefangen in ihren eigenen Reiseträumen. Dieses Gefängnis haben sie sich selbst gebaut und ich würde es beiden wünschen, dass sie wirklich im März nach Californien reisen können und dort das viele Geld verdienen, von dem beide träumen. Aber manchmal frage ich mich auch, wie dämlich man sein kann und wie hoch die Leidensfähigkeit sein muss, um so ein Reiseleben zu führen.

Für mich sind die 20 Stunden Rezeptionsdienst an 5 Tagen in der Woche ein fairer Deal - ich kann gratis hier übernachten, hab jede Menge Zeit in der Hängematte zum Faulenzen und Leute beobachten. Meine restliche Zeit verbringe ich am Strand, treffe mich mit meinen Reisebekanntschaften zum Kaffee, erkunde die Umgebung oder sammle Sonnenuntergänge.

Ich hoffe, dass ich mich selbst niemals in so eine Abhängigkeit begeben muss, dass für meine Reiseträume kein Platz (oder besser gesagt kein Geld) mehr vorhanden ist. Sollte mir das doch passieren, wünsche ich mir so viel Mut und Ehrlichkeit mir selbst gegenüber, dass ich mir diese Fehlentscheidung eingestehen kann. Nur mit dieser Erkenntnis kann ich sie auch korrigieren.

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